Selbsthilfegruppe für jung und jung gebliebene Schädel- Hirnverletzte

Erfahrungsberichte


Betroffene der SHG-Darmstadt berichten

Auf dieser Seite möchten wir Ihnen die Erfahrungen, Erlebnisse und die Schicksalsschläge unserer Selbsthilfegruppenteilnehmer und Mitglieder vorstellen. Wenn Sie mit einem der Mitglieder Kontakt aufnehmen möchten, da es Ihnen vielleicht ähnlich ergeht oder erging, so können sie dies gerne über die e-mail-Adresse auf der Seite "Kontakt" tun...

JÜRGEN

Schlaganfall - Der Krieg im Kopf

Wie geschah es?
Wie geht es ihm heute?

Darüber berichtet Jürgen Kammerl ausführlich auf seiner separaten Homepage www.jkammerl.de mit vielen interessanten Informationen, Reportagen, Pressemitteilungen und Interviews sowie seiner eigenen Literatur. Sehen Sie auch seine Autorenhomepage, auf der er seine Literatur rund um das Thema Schlaganfall präsentiert:

www.juergenkammerl.com

***

HANS-GÜNTER

Plötzlich ist alles anders!

Es war im Oktober 2007 als sich mein Leben im wahrsten Sinne des Wortes schlagartig veränderte. Am 14.10.2007 erlitt ich einen Schlaganfall infolge eines Einrisses der linken Halsschlagader. Die Symptome kamen zwar schon über den Tag verteilt, aber wer denkt schon mit 42 Jahren an einen Schlaganfall. Da ich durch mein Rheuma wetterfühlig reagiere habe ich halt gedacht, dass mein Kreislauf an diesem Tag nicht so mitmacht. Als ich aber dann mit Schwindel ins Bett ging und es immer noch nicht besser wurde, habe ich fest-gestellt, dass irgendwas nicht mit mir stimmen kann. Dummerweise war ich allein im Haus und auch noch im ersten Stock. Also rief ich meine Mutter an, die zum Glück im selben Ort im Nachbarhaus wohnte und einen Hausschlüssel hatte. Als sie kam, konnte sie nur noch den Notarzt rufen, denn da konnte ich schon nicht mehr laufen, da mir total schwindelig war.

Ich kam auf die Stroke-Unit nach Eberstadt. Dort hatten mich die Ärzte und Therapeuten nach einer Woche wieder einigermaßen fit gemacht, so dass ich wieder mit Einschränkungen laufen konnte und zu Hause auf meine Reha warten sollte. Aber es kam alles anders. Einen Tag und eine Nacht später bekam ich einen erneuten Schlaganfall. Dieser heftige Rückschlag warf mich endgültig aus der Laufbahn. Anstatt zur Reha ging´s mit Blaulicht erneut auf die Stroke-Unit. Die damalige Diagnose kann man am besten mit den Worten ausdrücken, die der behandelnde Arzt meiner Mutter sagte:

"Na ja, mal sehen was man noch für mich tun könnte, ich hätte es ja überlebt."

Die Unfähigkeit zu laufen bzw. zu sitzen, welches durch ein sehr starkes Schwindelgefühl verursacht wurde, machte mir arg zu schaffen. Ich sah Doppelbilder und meine motorischen Fähigkeiten waren linksseitig sehr stark gestört. Ebenso hat meine Konzentrationsfähigkeit sehr stark darunter gelitten. Nach drei Tagen kam ich in die vorgesehene Reha-Klinik nach Bad Orb. Dummerweise erhielt ich dort zuerst nur wenig Anwendungen. Erst nachdem wir uns bei der Krankenkasse beschwerten und sich diese einschaltete, lief es wie erwartet an. Von Woche zu Woche ging es dann wieder aufwärts. In der Krankengymnastik lernte ich wieder wie ein Kleinkind das Laufen. In der Ergotherapie behandelte man meine Doppelbilder und motorischen Störungen. Nach insgesamt zwei Monaten wurde ich dann mit Besserungen, aber immer noch mit erheblichen Einschränkungen nach Hause entlassen.

Das Laufen ging nur am Rollator und meine Konzentrationsfähigkeit hatte immer noch starke Einschränkungen. Mit Anstrengung und eisernem Willen schaffte ich dann in ambulanten Therapien weitere Fortschritte. Im Mai 2008 schloss sich dann eine zweite Reha, diesmal in den Schmieder-Kliniken in Heidelberg an. Dort hat man mich in 6 Wochen wieder soweit hinbekommen, dass man eine stufenweise berufliche Wiedereingliederung versuchte. Leider musste ich diese nach 5 Monaten abbrechen, da meine Leistungsfähigkeit immer stärker nachließ. Mein "Akku" wurde einfach viel zu schnell leer. Auch eine erneute Reha 2009, wieder in Heidelberg brachte keine Verbesserung. Seit April 2010 bekomme ich offiziell Erwerbsunfähigkeitsrente. Als Einschränkungen sind geblieben:

  • Dauerschwindel ("wie besoffen")
  • Eingeschränkte Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit
  • Weiterhin motorische Störungen links (zittern)

Trotzdem versuche ich in meiner ETW so selbstständig wie möglich zu recht zu kommen und bis jetzt klappt es auch ganz gut, auch wenn ich manchmal Unterstützung, u.a. von meiner Mutter und ihrem Lebensgefährten, benötige. Auch die Kontakte und Treffen in der Selbsthilfegruppe tragen dazu bei, dass Geschehene besser zu verarbeiten. Wir versuchen halt noch das Beste draus zu machen, soweit man es noch kann...

***

TANJA D.

Ich akzeptiere das Leben so, wie es gerade kommt!

Es soll ein traumhafter Skitag werden. In der von dem dunkelblauen Himmel strahlenden Sonne glitzerten die Schneekristalle. Hier, in 3000 Metern Höhe, direkt an der Bergstation der Seilbahn, hatte Tanja (35) einen wunderbaren Blick über die grandiose Berglandschaft Tirols. Doch plötzlich, wo kamen diese furchtbaren Kopfschmerzen her?

Tanja rief ihrer Freundin noch zu, sie solle schon mal alleine losfahren, dann sank sie in sich zusammen. Als Tanja wieder zu sich kam auf der Intensiv-station des Innsbrucker Krankenhauses, war der 12. Februar, Tanjas Geburts-tag. Drei Wochen waren vergangen. Wochen, in denen Tanja im Koma lag. Ihre rechte Körperhälfte war gelähmt. Die Ärzte hatten eine Massenblutung im Gehirn diagnostiziert. Überlebenschance 20 Prozent...

Und das auch nur mit bleibenden Schäden. In der Universitätsklinik in Heidelberg lernte Tanja in den darauffolgenden Wochen wieder zu gehen und zu sprechen. Sie war glücklich, als sie nach 7 Wochen ihren Rollstuhl verlassen konnte. Diese Rehabilitation war sehr effektiv. Doch es war eine Rehabilitation für die Frührente. Dabei ist Tanja froh, schon wieder zwei Stunden lang konzentriert bei einer Aufgabe bleiben zu können. Für eine Berufstätigkeit müsste sie aber mindestens drei Stunden am Stück durchhalten können. Das geht übrigens allen Teilnehmern der Darmstädter Selbsthilfegruppe für junge Schädel-Hirnverletzten so. Deshalb trifft sich die Gruppe jeden Montag schon um 17 Uhr für zwei bis drei Stunden. Denn abends sind alle Betroffenen erschöpft und todmüde.

Darunter leidet auch Tanjas Kontakt zu Ihren berufstätigen Freundinnen ein wenig. Wenn sie dann nach Feierabend mit Tanja telefonieren wollen, ist diese schon fast in ihrem Lieblingssessel eingeschlafen. Davon abgesehen geht es Tanja aber sehr gut. Sie kann ihre Wäsche wieder alleine waschen und bügeln, geht täglich ins Fitnessstudio und trifft sich nachmittags mit ihren Freunden von der Selbsthilfegruppe zum Kaffee.

„Es hat mich zu keinem Zeitpunkt aufgeregt, dass ich krank war.
Ich habe das Leben immer so angenommen, wie es gekommen ist.”

***

SIEGFRIED

Schnelle Hilfe wäre so wichtig gewesen...

Wir schreiben den Oktober des Jahres 2003. Siegfried war wie jede Woche im Badminton-Verein in Darmstadt, weil ihm dieses Spiel mit den schnellen Bällen so viel Spaß macht. Der gelernte Sozialarbeiter und seine Klubkameraden gingen anschließend noch in eine Gaststätte, um eine Kleinigkeit zu essen. Dann kehrte der Junggeselle heim in seine Wohnung in Nieder-Ramstadt. 
Kaum hatte er die Wohnungstür aufgeschlossen, wurden seine Knie weich und er stürzte zu Boden. Mühsam zog er sich am Türrahmen wieder hoch, schleppte sich zum Telefon und rief die Notarztzentrale in Darmstadt an. Kurz schildert er seine Situation.

„Tut mir leid, für Nieder-Ramstadt sind wir nicht zuständig. Aber ich gebe ihnen die Nummer von der Zentrale in Ober-Ramstadt."

Siegfried wählt diese Telefonnummer: „Bitte helfen sie mir!"

,,Nein. Wir können ihnen nicht helfen, denn für Nieder-Ramstadt ist die Notrufzentrale in Darmstadt zuständig. Rufen Sie doch bitte dort an."

„Aber das habe ich doch schon. Die kommen nicht!"

„Dann rufen Sie den Notarzt."

„Woher bekomme ich seine Nummer?"

„Das ist ganz einfach: Sie rufen bei Ihrem Hausarzt an, hören seinen Anrufbeantworter ab und am Ende des Bandes wird gesagt, welcher Arzt am Ort, Bereitschaftsdienst hat. Und den rufen Sie dann an."

Die Zeiger der Uhr waren schon auf halb drei Uhr vorgerückt, als der Diensthabende endlich bei Siegfried eintraf. Blutdruck, Puls und Reflexe waren OK.

Siegfried: „Vor drei Tagen hatte ich schon so ein leichtes Kribbeln im linken Fuß und der linken Hand. Mein Hausarzt hat mir bereits eine Überweisung zum Orthopäden geschrieben, damit dieser prüfen kann, ob vielleicht ein Nerv eingeklemmt ist. Und falls der Orthopäde nichts finden würde, müsste ich zum Neurologen."

Arzt: „Wenn ich sie jetzt ins Krankenhaus einweise, das bringt auch nichts, denn um diese Uhrzeit, mitten in der Nacht, wird dort auch nichts mehr gemacht. Schlafen sie jetzt einfach mal aus und wenn es morgen nicht besser ist, rufen sie ihren Hausarzt."

In dieser Nacht fiel Siegfried aus dem Bett. Seine linke Seite war komplett gelähmt. Durch Klopfen und Rufen alarmierte Siegfried seinen Vermieter in der Wohnung darunter. Der half ihm wieder hoch und sie verständigten den Hausarzt.

Siegfried: „Ich kann nicht in die Praxis kommen, mir geht es nicht gut."

Arzt: „Das sagen auch alle Leute, die Durchfall haben."

Siegfried wollte in diesem Moment noch nicht wahrhaben, dass er gelähmt war. Am Nachmittag endlich kam der Hausarzt. Als er Siegfrieds Zustand erkannte, ließ er den Unglücklichen mit dem Krankenwagen in die Neurologie nach Eberstadt bringen. Dort wurde Siegfried sofort in die Röhre geschoben.
Er hörte, wie die Ärzte von ,Apoplex' sprachen und davon, dass die Halsschlagader verstopft sei. Diese Nacht blieb Siegfried noch in Eberstadt, aber am nächsten Morgen wurde er nach Heidelberg transportiert. Der Operationssaal war schon vorbereitet, um Siegfrieds Schädeldecke zu öffnen.

„Wir müssen den Kopf aufmachen, um den Druck auf das Gehirn wegzunehmen.''

Es folgten endlose Wochen mit Krankengymnastik und Ergotherapie. Weil Siegfried nach relativ kurzer Zeit wieder alleine gehen konnte, hoffte er auch, sein Arm würde ebenfalls wieder funktionstüchtig. Doch die Ärzte machten ihm wenig Hoffnung.

„Mit dem Arm dauert es immer etwas länger und manchmal wird der gar nicht mehr."

Doch Siegfried ist zuversichtlich. Schließlich kann er schon wieder ganz gut spüren, mit welchen Materialien die Ergotherapeutin seine linke Handinnenfläche bearbeitet. Als Siegfried neulich seinen Arzt fragte, was er tun müsse, um wieder Auto fahren zu dürfen, bekam er keine Antwort. In einem unbeobachteten Augenblick riskierte Siegfried aber einen vorsichtigen Blick in seine auf dem Arzttisch liegende Krankenakte:

„ ... Patient mit problematischer Selbsteinschätzung hinsichtlich seiner psychosozialen Krankheitsfolgen...” konnte er dort lesen.

Siegfried hat seinen Arzt daraufhin gewechselt. Wie kann er vertrauen haben zu einem Mediziner, der seinen Patienten für einen illusorischen Spinner hält anstatt im Mut zu machen und Zuversicht zu geben?